Texte zum Projekt von
Agnieszka M. Slezka, Bärbl Weissensteiner und Martin Krusche

 

Agnieszka M. Sleczka (P)
Bärbl Weissensteiner (A)
Martin Krusche (A)


Von Agnieszka M. Sleczka
lebt und arbeitet Cieszyn (Polen)

Fotos, die sind überall zu sehen. Jeder von uns hat mindestens eins davon im eigenen Ausweis oder Pass. Nicht nur Familienalben sind voll von verschiedenen Bildern, auf denen die Zeit stehen geblieben ist und Dank derer wir zur Vergangenheit zurück kommen können. Fotos sehen wir jeden Tag in Zeitungen als Illustrationen für verschiedene gute, meistens jedoch (leider) schlechte Nachrichten, wodurch diese leichter für uns zu begreifen sind. Im Internet gibt es auch Millionen, Milliarden von allen Sorten. Ein im Internet getroffener Mensch, der ohne Fotos uns unbekannt ist und auch ein Hund sein könnte (Es gibt einen Witz: Ein Hund sitzt vor dem Bildschirm und sagt: „Im Internet kannst du dich als irgend jemand ausgeben. Niemand wird merken, dass du ein Hund bist.“) wird uns - auf dem Bild gesehen - auf einmal so nah wie ein alter Bekannter. Natürlich, nie haben wir die Sicherheit, ob die Fotos wirklich von denen stammen, die darauf abgebildet sind, aber meistens ist es so. Mit den neuen Technologien kann man heutzutage auch viel leichter mit Fotos spielen, sie ändern, verbessern, zusammenkleben. Ich persönlich bin jedoch gegen diese Veränderungen. Warum?

Fotos mache ich seit meiner Kindheit. Es ist eine meiner Lieblingsaktivitäten. Damals, als ich mit den Fotografieren begonnen habe, gab es noch nicht in jedem Haus eine Digitalkamera oder einen Computer auf dem man die Fotos leicht ändern hätte können. Die Filme und Kameras waren sehr teuer. Also bei jedem Foto, das ich machte, musste ich genau denken wie, wo und wann ich es machen wollte. Es sollte einmalig und gut sein, weil ich nicht genug Geld hatte, um es mehrmals zu wiederholen. Aber das Wichtigste für mich war, dass jedes Foto die Wahrheit zeigte. Auf jedem Foto sollte die Zeit stehen bleiben. Ich konnte natürlich schon dieselbe Person oder dasselbe Tier oder dieselbe Landschaft aus verschiedenen Perspektiven zeigen, in anderem Licht oder aus anderer Entfernung. Das war meine Freiheit. Ich konnte aber Menschen, Sachen oder die Teile der Welt nicht künstlich verändern. Und auch jetzt, da ich es ohne Probleme machen könnte, weil ich selber eine Digitalkamera und einen Computer zu Hause habe, würde ich es nie machen. Ich bin glücklich, wenn ein Foto gut ist. Ich bin verärgert, wenn es mir nicht gelungen ist, das zu zeigen und es so zu zeigen, wie ich es wollte. Aber wenn es schlecht ist, werfe ich es einfach raus und merke mir nur, was ich beim nächsten Mal besser machen soll. Ich verbessere es nie, denn dann zeigt es nicht mehr die Wahrheit, nicht die Realität und dann kann ich mit mir selbst nicht zufrieden sein. Fotografieren ist und wird für mich immer eine besondere Kunst sein: Die Kunst, die Welt so zu zeigen, wie sie ist, ohne sie zu korrigieren: Es geht für mich nicht darum, dass ich tausend Fotos auf einmal mache und eines davon bestimmt gut finde oder das Foto nach der Aufnahme verbessere, sondern dass ich ein Foto mache, das gut ist. Dabei muss ich viel mehr denken, mich mehr anstrengen und intensiv an jedem Foto arbeiten. Und nur das macht mir Spass.

Am liebsten fotografiere ich Menschen. Warum?

Menschen sind faszinierend. Jeder von uns ist anders, einmalig und noch mehr: Jeder Moment unseres Lebens ist unwiederholbar, einmalig. Also wenn ich jemanden in einem Bild einfange, ist es wirklich nicht möglich, noch einmal dasselbe Bild zu machen. Es ist so spannend und interessant, Gesichter und Gestalten auf den Fotos zu beobachten und sich dabei zu erinnern, wer diese Person war, wann es war und was dieser Mensch damals gedacht und erlebt hat. Handelt es sich dabei noch um Menschen von verschiedenen Ländern und aus verschiedenen Kulturen, so ist es noch interessanter. Wir leben meistens ohne darüber zu denken, dass überall in der Welt Millionen und Milliarden Menschen leben, die die Zeit ganz anders verbringen, die ganz andere Sachen zum Frühstück essen, die sich ganz anders kleiden und für die auch unsere Welt ganz anders aussieht. Fotos helfen uns, das zu erkennen, die Unterschiede zu merken, aber auch noch mehr: Wir lernen die abgebildeten Menschen durch sie kennen. Und das hilft uns, toleranter zu sein. Natürlich nur dann, wenn die wahrgenommenen Unterschiede nicht unsere Werte betreffen. Aber in Wirklichkeit gibt es nicht viele Unterschiede in der Welt, die wirklich für uns inakzeptabel sind. Zuerst müssen wir die Vielfältigkeit der Welt kennenlernen, um sie annehmen und tolerieren zu können. Dabei können uns die Fotos helfen.

Jedes Land ist einmalig, und jedes ist interessant. So wie jede Sprache etwas Besonderes ist und unsere Gefühle auf einmalige Weise auszudrücken erlaubt, so erlaubt uns jedes Land auf besondere Weise die Welt zu sehen und zu erleben. Die Witze aus einem Land werden meistens in einem anderen nicht verstanden, weil man dort leben muss, um alle Hintergründe verstehen und kennen zu können. Die Art, wie Menschen leben oder sich kleiden kann für Menschen aus anderen Ländern auf den ersten Augenblick total unverständlich sein. Erst nachdem sie einige Zeit in diesem Land verbracht haben, beginnen sie das alles zu verstehen. Mein Land, Polen, hat wie jedes andere Land etwas Besonderes an sich und ist interessant. Am besten ist es natürlich, wenn man selber nach Polen kommt und das Land persönlich sehen und erleben kann. Aber Fotos können dabei helfen, die größten und interessantesten Unterschiede in Bezug auf andere Kulturen und Länder zu zeigen. Wie ist Polen? Ein Land aus dem vergangenen Jahrhundert, wo Menschen in Dörfer leben und Kühe melken oder ein Land mit ganz modernen Städten, wo fast in jedem Haus PC und Internet zu finden sind? Oder sind die beiden Welten in Polen zusammengeschmolzen? Auf den Fotos sollt ihr die Antwort finden können... Dank der Fotos, die andere Menschen gemacht haben, werde auch ich die Länder und Kulturen kennen lernen, mit denen ich noch nie im Leben Kontakt hatte. Es ist faszinierend wieviel es in der Welt noch zu sehen gibt! Obwohl wir alle immer mehr in einem „globalen Dorf“ leben, wie man so sagt, bleiben zwischen uns noch so viele Unterschiede, die die Welt viel interessanter machen und die meiner Meinung nach bleiben sollen. Wir müssen sie nur kennen, um im Frieden leben zu können. Und die Fotos haben eine große Aufgabe: Sie erleichtern uns, die Welt besser kennen zu lernen. Und das machen sie mit großem Erfolg.

Von Bärbl Weissensteiner
lebt und arbeitet in Damberg (Österreich)

Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, für Sie, lieber Leser und Betrachter, das Vorwort für dieses Buch zu schreiben und danke den Künstlern für dieses Vertrauen.

Nach dem Zufallsprinzip wurden Kameras an Menschen in aller Welt verschickt, mit der Bitte, Bilder zu machen und zurück nach Graz zu schicken. Entwickelt und ohne inhaltlicher und ästhetischer Auslese wurden die Bilder zu einem Ganzen zusammengestellt und bilden den Kern dieser Arbeit.

Fotos, fast aus aller Welt, eine überaus spannende Geschichte. Was nehmen die Menschen wichtig, wie stellen sie sich dar? Nehmen sie sich dafür Zeit, oder wird einfach drauflosgeknipst? Haben sie Scheu, etwas von sich zu erzählen oder fallen alle Tabus? Beim näheren Betrachten der Bilder muss ich die Menschen gar nicht kennen, um den Inhalt zu verstehen. Die meisten Geschichten könnten bei uns daheim auch stattfinden.

Ich habe das Gefühl, die Menschen wollen ihre Lebenssituation ausdrücken. Etwas fotografieren, auf das sie stolz sind, das sie gerade beschäftigt. Viele Menschen fotografieren ihr Liebstes und kleben all ihre Erinnerungen in ein Album oder sortieren sie fein säuberlich in eine Schachtel. Aber diese Fotos bekommen einen besonderen Stellenwert. Man kann sie betrachten und jeder wird sich seine eigene Meinung bilden. Wir Menschen sind uns in vielem ähnlich, haben die gleiche Körpersprache die gleichen Bedürfnisse.

Doch sind die Kulturen sehr unterschiedlich, vieles ist uns noch fremd, erscheint uns fern. Und trotzdem ist es, als wenn wir die Bilder schon irgendwo einmal gesehen hätten. Sie anzuschauen und dabei zu bemerken, dass sie etwas Vertrautes besitzen, schafft Nähe. Vielleicht sind es gerade die Alltagsgeschichten, die von den Menschen erzählt werden, die uns bekannt vorkommen.

Der Betrachter hat die Möglichkeit, sich in die abgebildete Lage zu versetzen, oder auch nicht. Wenn wir wollen, bekommen wir plötzlich etwas miteinander zu tun... Das verbindet.

Auch die Möglichkeit zu schaffen, diese Arbeit vielen Menschen in Buchform und Ausstellungsform zu zeigen, damit in die Öffentlichkeit zu gehen, ist für mich ein Stück Zusammengehörigkeit, obwohl sich die Menschen untereinander nicht kennen.

All diese Menschen fotografisch eingefangen, zu einer Ausstellung und einem Buch geformt, eine Weite, die kaum vorstellbar ist. Ich finde diese Arbeit überaus interessant, sie wird sicherlich großen Anspruch finden.

Machen Sie sich Ihr eigenes Bild.

Von Martin Krusche
lebt und arbeitet in Gleisdorf (Österreich)

Ich bin ein Flaneur, Betrachter aus Leidenschaft. Fragend. Warum Bilder sammeln, wenn dies eine Zeit der Bilderfluten ist? Achtung! Wer legt wem Bilder in die Hände? Wo Medienmultis weltweit das Reich der Bilder zu dominieren versuchen, Trusts und Companies, die keine demokratischen Legitimation haben, kaum kontrolliert und nicht abgesetzt werden können, wo also Definitionsmacht so umfassend ausgeübt wird, bekommt diese Frage eine besondere Bedeutung. Die Frage nach der Achtsamkeit für die Blicke von Mitmenschen. Denn wovon wir uns ein Bild machen, davon handeln unsere Einsichten. Es ist also keineswegs egal, wer wem welche Bilder in die Hände legt.
Ich erinnere mich gerne an einige Tage in Madrid. Tapas, kühle Weine und kaltes Bier, die wuchtigen Skulpturen von Eduardo Chilida, die atemberaubenden Fotografien von Robert Capa; so war das in diesem Frühjahr, Mitte der 1990er. Als ich zum ersten mal vor Pablo Picassos “Guernica” stand. Auf meinem Weg durch eine ganze Reihe von Ausstellungen. Beginnend mit der großen Schau von Arbeiten des El Greco, weiter und weiter ... so war ich trunken von den Bars und den Galerien. Von dem Gefühl, nun hätte ich betrachtet, wie Europa über die Jahrhunderte sehen gelernt hat.
Aber!
Ist denn das so?
Nein!
Denn was herausragende Kunstschaffende vorlegen, was dann ausreichend wohlhabende Menschen als wesentlich erachten, was wissenschaftliche Diskurse schließlich in den gerade herrschenden Kanon aufnehmen, all das ist nur ein Ausschnitt der Welt.
Nun diese “Einsicht”. Durch die “cam around the world”.
Einsicht. Das Wort ist beim Tun im Deutschen doppeldeutig. Etwas einsehen bedeutet gleichermaßen, einen Raum oder ein Areal einsehen, worauf einem vorher der Blick verstellt war. Aber auch eine Auffassung zu revidieren, weil man zu neuen Ansichten gelangt ist. Was darauf hinweist, daß wir Vorgänge der Erkenntnis offenbar gerne bildlich mit der Leistung unserer Augen verknüpfen. Bis hin zur ursprünglichen Bedeutung des Wortes Theorie. Denn der “Theoros” war der absichtslos Schauende, welcher bestaunte, was er vorfand, ohne gesucht zu haben.
Das weist auch auf dieses Projekt. In einem Wechselspiel zwischen gezielten Blicken und absichtslosem Schauen scheint sich da etwas grundsätzlich Anderes zu entfalten. Als das, was mir mein Flanieren durch Madrid und durch die Kunstgeschichte einst angeboten hatte. Was für eine wunderbare Idee, etlichen Menschen rund um die Welt kleine, einfach zu bedienende Kameras zuzuspielen.
So können wir Eindrücke erhalten, was andere Menschen und wie sie es sehen. Ungefiltert von jener Bewertungs- und Marktmaschinerie des Kunstbetriebes, die uns gerne aufdrängt, was wir für bedeutend halten sollen. Diese zwei Felder stehen ja keineswegs in einer Konkurrenz zu einander, das Bedeutende und die Magie des Alltags. Denn daß hier Magie sich entfaltet, zeigt einem die Durchsicht der an die Absenderadresse zurückgekehrten Bilder.
Diese Anziehungskraft liegt mindestens in zwei Aspekten, aus denen sich menschliche Gemeinschaft schöpft: Sie sind da! Sie sind nicht wie ich! Hinzu kommt ein: All diese Orte!
Es wird in dieser Sammlung konsequent auf Kommentare der Bilder verzichtet. Denn so ist es ja, wenn wir die Welt betreten und ihre Orte durchstreifen. Was wir sehen, hat keine Untertitel. Da sind zwei simple Einsichten, die mir das Betrachten solcher Bilder verschafft: Da war ich schon! Da war ich noch nie!
Beides ebenso kostbare wie unspektakuläre Markierungen in einer Biografie, im verfließenden Leben.